BMF-Pläne ignorieren Interessen von Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürgern –
DVV fordert Dialog über zeitgemäßes Bildungsverständnis
Chemnitz. Mit einem Entwurf zur Änderung des Umsatzsteueranwendungserlasses nimmt das Bundesministerium der Finanzen (BMF) die allgemeine Weiterbildung ins Visier: Weiterbildungsangebote, die keinen unmittelbaren Bezug zu einem Beruf oder der Berufswahl haben, sollen mit Umsatzsteuer belegt werden und würden für Bürgerinnen und Bürger dann wohl 19% teurer werden.
Schmalspur-Bildung
Das BMF demonstriert damit nicht nur Unverständnis für die Herausforderungen der agilen Arbeits- und Lebenswelt, sondern vertritt auch einen eigenwilligen Bildungsbegriff, der jedweder moderner Definition von Bildung zuwiderläuft. So erklärt das Ministerium den Erwerb fachübergreifender Kompetenzen, die heute in jedem Unternehmen gebraucht werden, zur Freizeitbeschäftigung. Auch Weiterbildungsangeboten, die der Stärkung der Demokratie und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt dienen spricht das Ministerium den Bildungswert ab. Dasselbe soll für Bildung gelten, die wichtige Medienkompetenzen, Schutz gegen Cyberkriminalität, gegen Hass im Netz oder Cybermobbing vermitteln, die der gesundheitlichen Prävention, dem interkulturellen Austausch oder der Bewahrung regionaler Traditionen und Kulturtechniken dienen.
Die reduzierte Definition von Bildung in dem BMF-Papier diskriminiert zudem ganze gesellschaftliche Gruppen, zum Beispiel alle diejenigen, die ihr Berufsleben schon hinter sich haben, sich aber im vitalen persönlichen wie auch gesellschaftlichen Interesse weiterbilden wollen.
Hinzu kommt: „Zwischen ‚privaten‘ und ‚beruflichen‘ Kompetenzen zu unterscheiden ist gerade heute widersinnig“, sagt Dr. Ralph Egler, Vorsitzender des Sächsischen Volkshochschulverbandes. „Wir alle machen doch Tag für Tag die Erfahrung, dass Problemlösungskompetenz, Kommunikationsfähigkeit oder soziale Kompetenz sowohl im Privatleben als auch am Arbeitsplatz unentbehrlich sind“. Aus Sicht der Volkshochschulen bewegt sich das Ministerium mit seinem engen Bildungsbegriff fernab jeder gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realität.
Die Volkshochschulen und ihre Verbände warnen eindringlich davor, Bildung so eng zu definieren, und fordern das Ministerium zu einem konstruktiven Dialog über Weiterbildung in Zeiten der KI-Revolution, des globalisierten Arbeitens und starker gesellschaftlicher Spannungen auf.
Ministerieller Alleingang – Gegen den Willen des Gesetzgebers
Konkret geht es in den strittigen Ausführungen aus dem Ministerium um einen Anwendungserlass zu dem mit Wirkung zum 1. Januar 2025 geänderten Paragrafen 4 Nr. 21 im Umsatzsteuergesetz. Die erklärte Absicht des Gesetzgebers war laut der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, dass auch nach der Gesetzesänderung „die bislang umsatzsteuerfreien Leistungen unverändert umsatzsteuerfrei bleiben“. Das BMF setzt sich mit seinem Entwurf für den Anwendungserlass im Prinzip darüber hinweg, indem es nur direkt berufsbezogene Weiterbildungsangebote als Bildungsleistungen anerkennt. Vermitteln Angebote hingegen Kenntnisse und Fähigkeiten, die auch im Privaten zur Anwendung kommen, fallen sie nach Lesart des Ministeriums in die Kategorie Freizeit und würden damit steuerpflichtig.
Das Vorhaben des BMF ist aus Sicht der Volkshochschulen unhaltbar. Es steht auch im Widerspruch zu den von Bund und Ländern erarbeiteten Kriterien für eine Bildungsveranstaltung, die der Anwendung des wichtigen Paragrafen 4 Absatz 22a im Umsatzsteuergesetz zugrunde gelegt werden sollen. Diese Regelung erklärt Vorträge, Kurse und andere Veranstaltungen wissenschaftlicher und belehrender Art, die von bestimmten Einrichtungen, unter anderem Volkshochschulen, erbracht werden, für steuerfrei. „Darüber hinaus sind die geplanten Vorschriften auch unvereinbar mit dem Weiterbildungsgesetz des Freistaat Sachsen, das ausdrücklich die Förderung Lebenslangens Lernen in den unterschiedlichsten Bereichen vorsieht“, sagt Dr. Egler.
Mit bürokratischem Eifer in die soziale Schieflage
Haarspalterische Formulierungen in dem Papier des BMF lassen erahnen, wie sehr es die Programmplanung von Weiterbildungseinrichtungen verkomplizieren würde: So unterscheidet das Ministerium zwischen steuerfreien Veranstaltungen mit Berufsbezug und solchen mit der „bloßen Möglichkeit eines Berufsbezugs“, die besteuert werden sollen. Die Volkshochschulen sehen eine Lawine von Bürokratie auf die Weiterbildung zurollen. Noch schlimmer sei jedoch, dass die Autoren des Papiers schlussendlich die Preise für Weiterbildung in die Höhe treiben würden, betont Dr. Egler. Dies benachteilige zahllose Personen, die sich gerade in Krisen- und Umbruchszeiten weiterbilden wollen, um den Anschluss nicht zu verpassen.
Eine Steuererhebung auf Weiterbildungsangebote würde den ständigen Appell aus Politik und Wirtschaft zur Notwendigkeit lebenslangen Lernens zur Worthülse verkommen lassen.
Ausrede EU-Recht
Hintergrund der Pläne aus dem Ministerium ist die Anpassung des deutschen Umsatzsteuergesetzes an EU-Recht. Nur: Auf eine Besteuerung der allgemeinen Weiterbildung zielte der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung gar nicht ab!
Auf die europäische Rechtsprechung kann sich das BMF mit seinem eigenwilligen Bildungsverständnis nicht berufen. Für den EuGH zählt bei der Definition von Bildung eben nicht die unmittelbare berufliche Verwendbarkeit: Für den Gerichtshof ist vielmehr die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen maßgeblich. So definiert auch der europäische Referenzrahmen für Schlüsselkompetenzen ausdrücklich außerberufliche Kompetenzen, etwa in den Bereichen Mehrsprachigkeit, Digitale und technologiebasierte Kompetenzen, Soziale Kompetenz, Bürgerkompetenzen, Kulturelle und Interkulturelle Kompetenzen oder Gesundheitskompetenzen als zentrale Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und gelingende Demokratie.
Weitere Informationen
Zur Stellungnahme des DVV zur Änderung des Umsatzsteueranwendungserlasses
Zur Themenseite des DVV „Weiterbildung muss umsatzsteuerfrei bleiben“
Kontakt
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